Tage 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107 und 108: Veni, vidi, vomiti 🤮

Zitat zum Abschluss des letzten Beitrages: „Bertl könnte nicht zuverlässiger laufen […]„. Spoiler: Das gehört nur einige Tage später wieder der Vergangenheit an. Das einzige was seit inzwischen über fünf Tagen zuverlässig läuft, ist der Durchfall aufgrund der nächsten Lebensmittelvergiftung. Der Artikel gleicht dadurch inhaltlich etwas meinem Stuhl: Dünn. Außerdem zu 95% vespatechnikbezogen. Mit etwas Glück geht die Reise aber bald weiter und ich kann wieder über Land und Leute berichten. Aber wie üblich: Der Reihe nach.

Road to Lambayeque

Zunächst befinde ich mich ja noch in Piura und mit Bertl ist alles im Lack. Als nächstes Etappenziel hatte ich beim Blick auf die Landkarte heute morgen das 220 km entfernte Chiclayo auserkoren.

Da dazwischen die bereits einmal erwähnte Wüste liegt, fülle ich Benzin- und Wasservorräte auf…

…gönne mir pinke Bratwurst zum Frühstück und mache los.

Und viel gibt es tatsächlich nicht zu sehen. Rechts und links ist nur Sand. Hin und wieder taucht aus dem Nichts ein kleiner Pueblo auf. Mehr aber auch nicht. Alle halbe Stunde mache ich eine Pause, decke mich neu mit Sonnencreme ein, strullere in die peruanische Wüste und hänge mich unter meinen Wasserkanister um meinen Wasserhaushalt wieder aufzufüllen. Es ist zwar, gerade aufgrund des wieder sehr starken Windes, nicht so warm wie erwartet für eine Wüste. Aber Sonnencreme und Flüssigkeit sind wichtig, Freunde.

Auch die peruanischen Auto-, LKW- und Motorradfahrer halten ihren Flüssigkeitshaushalt wohl auf Top-Level. Im Unterschied zu mir strunzen die Kollegen aber nicht hinter eine Sanddüne, sondern mitten auf den Standstreifen. Schwengel immer voll in Richtung der nachfolgenden Verkehrsteilnehmer. Drei peruanische Lümmel darf ich so auf den ersten 100 Wüstenkilometern bereits sehen. Und eben Sand…

Ansonsten fällt mir erneut auf, wie viel Müll hier herumliegt. In den direkt an die Straße angrenzenden kleinen Büschen verfängt sich all das Zeug.

Die Straße läuft wieder bolzengerade und so flach, dass durch die Luftspiegelung die entgegenkommenden Fahrzeuge weit entfernt erst einmal auf mich zu schweben bevor sie zu fahren beginnen. Und weil die Straße nur geradeaus verläuft und ich die Geschwindigkeit konstant halten kann, denke ich ernsthaft darüber nach heute den ersten 400er zu machen und die 430 km nach Huanchaco durchzuziehen. Wieso auch nicht? Ich habe mich an die Fahrerei gewöhnt und der Tag ist noch lang…

Und wie ich mir das so ausmale und darauf warte, dass Bertl mir durch ein kurzes Stocken und ein Abfallen der Leistung signalisiert, dass ich den Benzinhahn auf Reserve umstellen muss, da kommt wirklich ein kurzes Stocken, aber gefolgt von einem mächtigen Leistungsabfall und einer ausgehenden Bertl. Ich ziehe sofort die Kupplung und rolle auf dem Standstreifen aus. Nun sollte ich eigentlich besorgt sein. Denn das deutet schwer auf den Kolben hin. Und ich bin noch mindestens 20 km vom Ende der Wüste entfernt. Ersatzteile habe ich auch keine. Ich trinke, strulle und denke nach. Zuerst schließe ich aus, dass es sich wieder nur um eine lose Zündkerze handelt. Dann lasse ich Bertl rund 15 Minuten abkühlen, bevor ich sie wieder versuche anzukicken. Erster Kick, Bertl schnurrt. Das ist gut. Trotzdem hatte ich vermutlich eben gerade einen Kolbenklemmer und sollte nun hohe Drehzahlen tunlichst meiden. Mit einer Geschwindigkeit von etwa 25 km/h im vierten Gang schleppe ich mich 25 km in den nächsten Pueblo. Dieser ist aber zu klein um zu besorgen, was ich zur Reparatur von Zylinder und Kolben benötige. Also nochmal 15 km weiter bis zur Stadt Lambayeque. Alle sieben Kilometer lege ich eine Pause ein. Damit gebe ich Bertl die Zeit, die sie benötigt um wenigstens ein bisschen abzukühlen zwischendurch.

In Lambayeque checke ich im erstbesten Hotel ein, bocke mit Hilfe des Schemels des Nachbarn meine Bertl auf und lege los damit sie auseinander zu nehmen.

Dass das Hotel in derselben Straße wie die Kirche der Zeugen Jehovas ist, wusste ich natürlich nicht. Und so muss ich während der Demontage von Bertl mehrmals Avancen abwehren. Ein Kadett sollte sich als besonders hartnäckig herausstellen. Ich sage mehrmals, dass ich gerade andere Probleme habe, aber er hört nicht auf mich zu fragen, ob ich denn Jesus kennen würde, ob ich auch brav die Bibel lesen würde und auch wisse, dass Jesus für meine Sünden gestorben sei. Mir schwillt schon langsam der Kamm, ob so viel Dreistigkeit. Ich überlasse jedem das Recht, seine Religion in Frieden auszuüben, erwarte aber eben andersrum auch genau so viel Verständnis dafür, dass ich damit nichts zu tun haben möchte. Erst recht wenn ich mit meinen öligen Händen im Maschinenraum von Bertl stecke. Aber ich lächle alles weg und tue dann als verstünde ich nicht, als mir mein Hobbymissionar auch noch eine Bibel schenken will.

Irgendwann habe ich Zylinder und Kolben dann freigelegt, ohne meinem nimmermüden Prediger mit der Ratsche mit der 22er-Nuss einen neuen Scheitel zu ziehen. Und tatsächlich. Auf den ersten Blick sieht es gar so aus, als hätte der Kolben an gleich zwei Stellen geklemmt. Außerdem ist der untere Kolbenring festgebacken. Wieso es im Zylinder so heiß wurde… Mir bislang ein Rätsel. Im Verdacht habe ich dieses Mal wirklich die Gasohol-Suppe, die ich hier an der Tanke serviert bekomme.

Aber dem konnte ich auch noch später auf den Grund gehen. Erst will ich noch zu Ladenöffnungszeiten Ätznatron und feines Schmiergelpapier besorgen um damit Zylinder und Kolben zu bearbeiten. Denn neue Teile sind Fehlanzeige. Alternativen also auch. Zunächst frage ich in einer Apotheke nach dem Ätznatron. Zumindest als ich irgendwann Mal drankomme. Denn etwas was sich wie ein roter Faden durch alle drei bislang von mir besuchten Länder Südamerikas zieht, ist dass die Menschen hier anders „anstehen“ als wir. Nämlich gar nicht. Aus Diskretionsgründen lasse ich aus Gewohnheit hinter der vor mir stehenden gerade bedienten Person etwa einen Meter Platz. In diesen versuchen sich dann hier aber regelmäßig Leute zu drängen. Weist man höflich darauf hin, dass man vorher dran ist, wird man nicht selten in leicht aggressiver Weise mit irgendeiner spanischen Hasstirade betraut, in der überraschend oft auch das Wort „Gringo“ vorkommt. Wird man dann endlich bedient, ist es keine Seltenheit, dass sich jemand einfach daneben stellt, kurz beim Gespräch zuhört und dann einfach dazwischenredet. Sicher nicht so angenehm, wenn man gerade mit dem Apotheker sein Genitalwarzenproblem bequatscht. Sei wie es sei. Es ist soweit, dass ich leicht sauer reagiere, wenn sich wieder jemand in der Reihe einfach vor mich schiebt.

Ganz ohne Dränglerei finde ich irgendwann mein benötigtes Utensil in einer Ferreteria. Auf dem Rückweg sehe ich dann nochmal in der Apotheke vorbei. Ich benötige neue Sonnencreme. Beim Preis von 134 peruanischen Soles, also etwa EUR 36,- für eine Tube Nivea Sonnencreme fällt mir allerdings die Futterluke auf den Apothekentresen und ich lehne dankend ab. Ham die denn den Arsch offen…

Ich eile zurück in mein Hotel, ordere Pizza dorthin und mache mich an die Arbeit. Mit dem Ätznatron behandle ich zunächst den Zylinder und dann (versehentlich) auch noch den Hotelzimmertisch. Uuups.

Das Ätznatron trage ich dabei mit einer Spritze auf die Stellen auf, an denen der Alukolben im Graugusszylinder abgerieben hat. Die Aluspuren lösen sich durch das Ätznatron einfach auf. Der Zylinder bleibt „unverwundet“. Dann rücke ich noch dem Kolben mit Schmiergelpapier zu Leibe, bevor ich den Abend beschließe. Den Zusammenbau verschiebe ich auf den nächsten Morgen.

Road to Huanchaco

Und als ich recht früh wieder vor dem Hotel auf dem Gehweg vor Bertl knie, dauert es exakt zwei Minuten bis mein wohlbekannter Prediger vom Vortag wieder um die Ecke biegt. „Jesus ist der Weg und die Lösung. Weißt du das?“. Alter, dem rast doch der Blocker. Ich versuche nochmals ihm klar zu machen, dass seine Saat hier nicht auf fruchtbaren Boden fällt. Ohne Chance. Während ich also Bertl wieder zusammenstecke, zitiert der Vogel also neben mir die halbe Bibel runter. Jedem das seine.

Als Bertl wieder beisammen ist, kicke ich und hoffe, dass nun alles gut geht. Aber schon gleich höre ich ein merkwürdig metallisches Geräusch aus dem Motorraum. Eine erste Internetrecherche ergibt, dass es sich um einen sogenannten Kolbenkipper handeln könnte. Das wäre halb so wild. Und darauf spekuliere ich auch, als ich beschließe mit 45 km/h und vielen Pausen die Weiterreise anzutreten. Ich will es immerhin in das etwas mehr als 200 km entfernte Huanchaco, an der Küste gelegen, schaffen. Außerdem kommen meine neuen Kolben per Privatkurier (danke Lisa 😉) in Lima an. Und das liegt noch 800 km entfernt. Also riskiere ich weitere Schäden am Zylinder und gurke los. Wieder mache ich Wüstenkilometer. Nur etwas mühsamer als gestern. Ob der geringeren Durchschnittsgeschwindigkeit.

Und nach langen 240 km und nach Einbruch der Dunkelheit, erreiche ich tatsächlich Huanchaco mit seinen weißen Stränden und seinen unter Surfern beliebten Wellen. Aber zu meiner Überraschung, ist es hier verhältnismäßig kalt. Nichts mit Badebuchse um und ab an Strand. Langarm ist angesagt.

Beziehungsweise für heute ist nur noch eines angesagt: Feierabend.

Denn am nächsten Morgen wird malocht. Ich will mit Hilfe von erfahreneren Vespisti im online-Forum die Ursache für den Klemmer erforschen und außerdem dem metallischen Klappern auf den Grund gehen. Dazu muss Bertl also wieder ausgezogen werden. Bei der Gelegenheit reinige ich auch grade noch den Vergaser. Und im Laufe dieses Tages lerne ich dann einiges dazu. Unter anderem, dass ich den nun geklemmten Kolben vermutlich falsch eingefahren habe. Nämlich zu langsam bzw. mit zu niedriger Drehzahl. Und ich lerne, dass Ethanol, was ja hier großzügig zum Sprit gegeben wird, heißer verbrennt als Benzin und dadurch ebenso zu mehr Hitze führt. Beides eine mögliche Erklärung für den Klemmer.

Genug gelernt. Für diesen Donnerstag lasse ich Bertl so auseinandergerissen stehen und liegen, wo sie ist. Denn für die Beantwortung der Frage, ob es mit dem Zylinder weitergehen kann oder nicht, benötige ich mehr Zeit oder einen Experten. Die Umrüstung auf einen 150 cc Zylinder wäre einerseits wohl relativ einfach machbar und würde für Ruhe im Motorraum sorgen. Andererseits sind die neuen Kolben für den jetzigen Zylinder schon gekauft. Diese passen in einen größeren Zylinder logischerweise nicht mehr rein und wären dann für den Arsch. Aber mit dieser Frage befasse ich mich heute nicht mehr. Wieder Mal Feierabend.

Und zu diesem gönne ich mir zum ersten Mal seit den beiden Pullen, die ich getrunken hatte, als ich zum ersten Mal flach lag, wieder Bier zum Abendessen. Drei an der Zahl. Und wieder schießt es mir mit Anbruch der Nacht aus allen verfügbaren Öffnungen. Ein grausamer Verdacht beschleicht mich. Ist eventuell der südamerikanische Gerstensaft verantwortlich für den Sprühstuhl? Die ganze Nacht schiebe ich wieder Schicht auf dem Scheißhaus. Das bittere: Ich teile mir ein Zimmer mit drei anderen. Mein Bett ist ein Stockbett. Ich liege oben. Es gibt kein eigenes Bad. Jedes Mal muss ich also vom Bettenturm klettern, raus aus dem Zimmer, rüber ins Gemeinschaftsbad und das ganze wieder zurück. Am nächsten Morgen regle ich deshalb als erste Amtshandlung erst einen Umzug in ein Zimmer mit eigenem Bad und normaler Koje.

Der dünne Günther hat übernommen

Viel mehr kriege ich nicht mehr auf die Reihe. Außer, dass ich an diesem Tag den Entschluss fasse, die neuen Kolben nicht für die Katz gekauft haben zu wollen und sie daher in meinem alten Zylinder fahren will.

An Essen ist absolut nicht zu denken. Nur der Gedanke daran lässt mich grün werden. Ich verbringe den Tag daher damit die neue Staffel „Vikings“ zu bingen und hoffe, dass das Ganze wie zuletzt am nächsten Tag schon wieder weg sein wird.

Wird es nicht. Für diesen Samstag hatte ich mir eigentlich vorgenommen einen Mechaniker im nahegelegenen Trujillo ausfindig zu machen und ihn meinen Zylinder inspizieren zu lassen. Vergiss es, Alter. Ich sollte wohl besser einen Arzt ausfindig machen, der meinen eigenen Maschinenraum Mal etwas genauer unter die Lupe nimmt. Ich habe in der Nacht wieder kaum geschlafen. Zu den bekannten Problemen hat sich außerdem ein übler Kopfschmerz gesellt. Ich versuche mit Elektrolytlösungen aus der Apotheke hydriert zu bleiben. An Essen ist aber weiterhin nicht zu denken. Der Versuch eine Brühe zu essen, scheitert nach drei Löffeln, weil mir sterbensschlecht wird. Und so läuft auch an diesem Tag wieder nicht viel mehr als Netflix. Außer, dass mir viele Forumsmitglieder im Vespaforum ins Gewissen reden bezüglich meiner Idee den alten Zylinder zu fahren. Der nächste Kolbenklemmer wäre mit diesem Zylinder wohl nur eine Frage der Zeit und ich ändere den Plan wieder. Ein neuer Zylinder soll es also sein. Bevor ich aber selbst nicht wieder fitter werde, brauche ich an die Umsetzung des Planes gar nicht zu denken. Bleibt die Hoffnung, dass morgen alles weg ist.

Ist es nicht. Aber es ist besser an diesem heutigen Sonntag. Wenn auch nur ein bisschen. So gut, dass ich zwar noch keinen Appetit verspüre, mir aber zutraue etwas essen zu können, ohne alles sofort wieder in die Keramik zu brüllen. Und tatsächlich. Mit einem halben Omelette ohne irgendwelche Dreingaben, findet nach über 60 Stunden Mal wieder etwas Essbares den Weg in meinen Magen. Sorgt aber gleichzeitig trotzdem wieder dafür, dass mir wenig später wieder kotzübel wird. Freunde, es ist ein langer Weg. Ich diszipliniere mich nicht die hosteleigene Skatebahn mit meinem Verdauten zu asphaltieren und stecke an diesem Morgen noch Bertl wieder soweit zusammen, dass ich damit am Montag nach Trujillo fahren könnte um einen Mechaniker aufzusuchen. Abhängig von meinem Zustand natürlich. Essen kann ich wieder nichts weiteres für den Rest des Tages. Langsam wird es kritisch an der Front.

Neuer Topf für Bertl

Der Dienstagmorgen kommt. Und mit ihm weiterhin Durchfall. Aber dieses latente Prä-Kotzgefühl, das ich ständig habe, nimmt mit jedem Tag etwas ab. Ich fühle mich fit genug für die Mission Zylinder.

Also klappere ich mit Bertl im Kriechgang die 13 km nach Trujillo in die einzige Bajaj-Werkstatt, die auf Google Maps vermerkt ist. Eine sehr professionell eingerichtete und geführte Werkstatt, sowie eine nette Empfangsdame erwarten mich dort. Letztere hat zwar den Zylinder nicht da, nennt mir aber eine Adresse in der Nähe, wo ich diesen bekommen kann. Ich solle den Zylinder dort besorgen. Der Mechaniker übernehme dann die Montage und vor allem die vermutlich komplizierte Verbindung zu meinem bestehenden Auspuff. Kompliziert deshalb weil aktuell der Auspuff nur auf den Auslass vom Zylinder aufgeschoben und dann mit einer Schelle zugedrückt wird. Der neue Zylinder jedoch ist flach mit zwei Bohrungen, wo der Alte das Rohr zum Aufschieben hat. Dieser wird mit dem Original-Bajaj-Auspuff gewöhnlich nämlich verschraubt. Aber es wird sich zeigen, wie die Kollegen damit umgehen.

Ich lasse Bertl also wo sie ist und laufe nach Anweisung zum Teilehändler, der dann tatsächlich den 150cc Eimer vorrätig hat. EUR 38,- inklusive Kolben und Ringen. Was en Schnapper.

Beim Verlassen des Geschäfts sehe ich gegenüber noch eine dreckige, unorganisierte, weitere Werkstatt mit Bajaj-Logo. Jedoch ist der Laden nicht einfach nur Bajaj-Schrauber, sondern spezialisiert auf die Torito Mototaxis, von deren Spezies ich ja gerade einen Zylinder gekauft habe. Gut zu wissen. Erst Mal aber zurück zum Vertragsschrauber. Dort angekommen, darf ich ein kurzes Gespräch mit dem Mechaniker führen, in dem dieser es aber nicht einmal für nötig befindet, einen kurzen Blick auf Bertl zu werfen. Jaja, machen wir alles. Jaja, das können wir. Ich habe so meine Zweifel. Und da der nächste Termin erst in vier Stunden wäre, packe ich den Zylinder ein, starte Bertl und rolle zur Dreckwerkstatt.

Und die Jungs dort haben zwar eine dreckige Werkstatt, aber einen einwandfreien Charakter. Roll rein, wir schauen uns das Mal an. Alles klarsen. Ich erkläre, was ich will und erkenne an den Sorgenfalten auf der Stirn des Werkstattmeisters, dass er versteht. Dafür braucht es eine Spezialanfertigung, meint er. Yessss, endlich versteht mich einer.

Wir einigen uns auf folgenden Ablauf: Alten Zylinder ausbauen (ich), Prüfung ob wirklich identische Maße an den entscheidenden Stellen vorliegen (er), Adapter fertigen lassen (ich), neuen Zylinder montieren und mit Auspuff verbinden (wir).

Die ersten beiden Schritte sind schnell erledigt. Dann aber wird es kompliziert. Wir kommen zu dem Schluss, dass die beste Lösung eine Art Adapterplatte in der Rautenform der Fläche des neuen Zylinders mit zwei Bohrungen außen und einem aufgeschweißten Rohr in der Mitte ist. Über die zwei äußeren Bohrungen kann dann das Teil mit dem Zylinder verschraubt werden und über das Rohr kann wie gehabt der Auspuff geschoben werden. Werkstattmeister Winston, wie er wegen seines Zigarettenkonsums genannt wird, sendet mich mit zwei Zylindern im Rucksack die Straße runter, wo ich ein solches Teil bekommen könne.

Und Tatsache, fast zu übersehen und nur zu erkennen, an den sechs aufgesteckten [hier korrekten Plural des Wortes Auspuff einsetzen] vor der Klitsche…

…finde ich den Mann, der alles möglich machen soll. Der Auspuffteilefriedhof in seiner kleinen bescheidenen Hütte macht mich zuversichtlich, dass da was für mich dabei ist. Der alte Mann krustelt eine Weile in seinen Teilen rum und findet schließlich tatsächlich eines, das exakt auf meinen Zylinder passt, was Größe und Position der Bohrungen angeht. Dummerweise ist das Rohr etwas zu dünn und das Teil völlig verrostet.

Immerhin aber nennt er mir die Straße in der ich ein solches exakt passendes Teil fertigen lassen könnte. Da dies etwas weiter entfernt ist, lasse ich mich von einem Taxikutscher dorthin bringen. Und hier angekommen beginnt wieder eine beispielhafte Kurzodyssee, geschuldet dem Informationsfluss in Südamerika, anhand des nachfolgenden Bildes kurz erläutert.

Mein Taxifahrer sendet mich in den hintenliegenden Schrottplatz (1). Dort könne man mir helfen. Die Kollegen dort senden mich zurück in Geschäft (2). Der dort gerade schwer beschäftigte Schweißer schickt mich dann aber um die nächste Ecke, wo man mich wiederum zurück zu Geschäft (2) sendet, man mir nochmals genau zuhört und mich dann aufgrund meines Bedarfs zu Geschäft (3) schickt. Dort ist aber grade Mittagspause. Jackpot.

Offiziell soll diese bis 14 Uhr dauern. Ich bezweifle, dass hier so schnell jemand zurückkommt und setze mich vor dem Laden in den Sand und spiele etwas mit den herumliegenden Steinen. Damit hadernd, dass mein Teiledreher beim Mittagessen ist und ich schon wieder den ganzen Tag nichts gegessen habe. Außerdem ist mir schlecht von der Taxifahrt hier her. Wenns läuft, dann läufts.

Mit erwarteter 20-minütiger Verspätung kehrt dann eine ganze Armada an Drehern und Fräsern gut gestärkt zurück und ich erkläre, was ich brauche. Kostet 70 peruanische Soles, etwa 19 Euro, und dauert circa zwei Stunden lautet die Antwort. Alles klar. Ab dafür. Da Bertl aber nun auseinandergenommen in einer Werkstatt ein paar Kilometer weiter steht, muss ich erst sicherstellen, dass die Kollegen dort auch so lange geöffnet haben und der Laden nicht dicht und meine Bertl eingesperrt ist, wenn ich mit meinem Teil zurück komme. Als es mir magentechnisch gerade wieder etwas besser geht, schwinge ich meinen Prachtarsch wieder zurück in ein Taxi und fahre zurück zur Werkstatt.

Dort angekommen schnaufe ich tief durch und wertschätze, dass ich noch am Leben bin. Denn der Verkehr in Peru ist der bislang schlimmste. Ampeln sind nur schmückendes Beiwerk. Die Farbe interessiert nicht. Es wird gehupt und in die Kreuzung gefahren. Nicht aber normal, sondern immer mit dem Gaspedal am Bodenblech. Einbahnstraßen werden ebenso missachtet wie Vorfahrtsregeln. Funktioniert irgendwie auch auf diese Wiese. Aber eben viel chaotischer.

Meine Werkstatt jedenfalls hat geöffnet bis um 19:30 Uhr und ich beschließe in der Zeit einen Friseurbesuch einzulegen. Danach wieder in ein Taxi und zurück zum Dreher, der absolut erwartungsgemäß nach zwei Stunden noch nicht fertig ist. Halbe Stunde noch. Klar, Diggi. Also drehe ich noch eine Runde durch die Straßen und den Markt von Trujillo und kehre nach einer dreiviertel Stunde zurück. Zur Überraschung aller ist das Teil noch nicht fertig. Das dauert schon fast bis um 17:45 Uhr. Dafür sieht das Teil genial aus.

Blick auf die Uhr. Das könnte heute eng werden mit Bertl. Zurück ins Taxi. Wieder konzentrieren nicht auszulaufen und rein in die Werkstatt.

Dummerweise haben sich dort inzwischen noch andere Kunden vor mir angesammelt. Und diese zu bedienen, zieht sich offenbar. Ständig werde ich vom Stift vertröstet, dass ich es in zehn Minuten soweit sei. Nie taucht jemand auf. So ziehen geschlagene zwei Stunden ins Land, ehe ich um kurz nach 20 Uhr dann nach Hause geschickt werde, mit der Auskunft, dass es heute doch nichts mehr wird. Aber dafür dann gleich morgen früh. Klar. Ich will mich ärgern, habe aber in meinem immer noch krankheitsgeplagten, auch heute ungefütterten Körper nicht mehr die Kraft dazu. Ein letztes Taxi heute bringt mich zurück nach Huanchaco.

Zylinder zum Zweiten

Dort kann ich zwar schnell einschlafen, träume aber dann die ganze Nacht schlecht davon, weiterhin in der Werkstatt zu sein und zu versuchen Bertl reparieren zu lassen. Ohne Erfolg natürlich. Als ich erwache bin ich entschlossen, das nun zu ändern. Pünktlich um 8:30 Uhr stehe ich wie vereinbart vor der Werkstatt und bin nicht mehr überrascht, dass außer mir niemand da ist. Ich wusste, dass das passieren würde, bin aber einfach zu deutsch um selber auch zu spät aufzutauchen. Ich hab es versucht. Ich kann es nicht. Ich muss pünktlich sein. Ich nutze die Zeit und kaufe meinen zwei Werkstattmeistern, die mich gestern etwas am Seil runter ließen eine eiskalte Coke. Make love not war und so. Und nach etwa 20 Minuten tauchen auch beide Kadetten wieder auf. Läuft doch.

Doch bevor es an die Arbeit geht, sendet mich Werkstattmeister Winston wieder die Straße runter. Völlig zu Recht. Denn zwischen mein Drehteil und den Zylinder gehört eine Dichtung. Und da es diese fertig nicht gibt, müssen wir diese selbst basteln. Ein älteres Ehepaar in einem kleinen Häuschen etwa einen km die Straße runter verkauft zum Glück das Dichtungsmaterial.

Ab ins Mototaxi, Straße runter zum Dichtungsehepaar, Material gekauft. Nächstes Mototaxi und zurück zu Meister Winston. Dort machen wir mit etwas Öl einen Abdruck der zu dichtenden Fläche auf dem Material und versuchen das Ding zu schneiden. Da es sich um Dichtungsmaterial mit einer dünnen Schicht Metall dazwischen handelt, lässt sich dieses aber kaum schneiden.

Ab ins Mototaxi, Straße runter zum Dichtungsehepaar, Material schneiden lassen.

Nächstes Mototaxi und zurück zu Meister Winston. Dichtung kann sich sehen lassen.

Da Meister Winston dann wieder grade beschäftigt ist, als ich zum dritten Mal heute Morgen die Werkstatt betrete, muss ich wieder etwas warten. Man lernt definitiv geduldig zu sein, auf einer Tour wie der diesen. Inzwischen ist es bereits schon wieder 10:30 Uhr und außer der besorgten Dichtungen sagt mein Arbeitsnachweis nicht viel aus. Ich schaue stattdessen Meister Winston etwas beim Schrauben zu und warte weiter geduldig.

Dann endlich, gegen 11 Uhr geht es an meine Bertl. Zunächst werden alle metallenen Teile von Meister Winston penibel, inklusive Zahnbürstenschrubbung, in Benzin gereinigt. Dann setzt er nach und nach und ohne Eile Teil für Teil auf. Ich schaue genau zu um für künftige Einsätze zu lernen. Neu ist für mich zum Beispiel die Verwendung von Silikon beiderseits der Zylinderfuß- und Zylinderkopfdichtung. Zylinderkopfdichtung mag sich der Vespisti unter meinen Lesern fragen? Gibt’s doch gar nicht. Beim Torito-Topf schon. Und daher fahre ich jetzt mit Zylinderkopfdichtung spazieren.

Und dann geht es an den Auspuff. Durch den anders geformten Auslass und die zusätzliche Adapterplatte stößt der Auspuff früher am Zylinder an, hängt dadurch ja schräg unter der Karre und wird daher einmal auf der anderen Seite nicht mehr passen und/oder undicht sein. So die Theorie, die mich letzte Nacht nicht schlafen ließ.

Und die Praxis bestätigt dies. Wenn die Abweichungen auch nicht so drastisch sind, wie befürchtet. Dazu kommt ein zerstörtes Gewinde am ersatzradseitigen Bolzen, das es nicht einfacher macht, eben jenen in die Mutter im Käfig zu bekommen.

Letztlich bekommen wir es hin, indem Winston den Mutternkäfig aufbiegt und von Motorenseite gezielt die Mutter Richtung Bolzen führt, während ich diesen von Ersatzradseite eindrehe.

30 Soles, etwa 8 Euro. Ob mir das fair erschiene für die gemachte Arbeit (über drei Stunden) fragt mich Meister Winston fast mit einem schlechten Gewissen. Ich sage nein, drücke ihm 40 Soles in die Hand und verabschiede mich. Es war mir eine Ehre, Meister Winston.

Das hat nun aber zur Folge, dass das Demontieren des Auspuffs nicht ganz einfach wird. Daher muss ich feststellen, so genial ich mein sonderangefertigtes Drehteil auch finde. Es kann eigentlich erst Mal nur provisorisch sein. Ich bin bereits in Kontakt mit einem offenbar sehr guten Vespaschrauber in Lima. Für die 600 – 800 km (je nach gewählter Route) bis dorthin sollte es klar gehen. Bis dorthin, werde ich über Alternativen nachdenken und hoffentlich eine zündende Idee haben.

So lange gilt aber, Bertl läuft erst Mal wieder. Und das mit einem 150er Topf und gefühlt etwas mehr Dampf. Ab sofort heißt es damit erst Mal wieder Kolben einfahren. Diesmal richtig.

A propos Topf: Brandaktuell, Mittwochmorgen, bin ich zum ersten Mal seit sechs Tagen mit einem Erfolgserlebnis vom Topf zurückgekehrt. Die Leidenszeit scheint also für Bertl und mich gleichzeitig vorbei zu sein. Danke für die Nachrichten und Kommentare besorgter Leser. Ihr seid der zyklostrophische Wind unter meinen inzwischen kränklich dünnen Flügeln. Künftig werd ich wieder schneller liefern.

Und zum Abschluss: Der gestrige Sonnenuntergang in Huanchaco.